Falls ich nur ein Kochbuch mit auf eine einsame Insel nehmen dürfte – es wäre dieses über Urgetreide 😉
Ihr meint ich spinne?! Vielleicht ein wenig, aber erstens ist hierin so viel Wissen vereint, dass ich es immer wieder zu Rate ziehen kann (und mir nicht langweilig wird) und zweitens ist die Wahrscheinlichkeit, dort alte Getreide statt der hochgezüchteten zu finden schon höher… hofft die Romantikerin in mir.
Backshops, Discounter und Aufbackbrötchen machen der traditionellen Backkunst den Gar aus. Jahrhunderte altes Wissen um „lange Teigführung“, „Spontangärung“ und „Sauerteig“ geht verloren. Die Bäckerlehrlinge lernen nur noch Päckchen auf, Pulver rein, Mehl dazu, Rührmaschine an.
Doch es regt sich Widerstand – so gibt es „Die freien Bäcker“ , Siegfried Brenneis und dieses Buch!
Aufbau des Buches
Es geht zunächst um Trends und Wege des traditionellen Bäckerhandwerks weg vom Preiskampf mit den Discountern (den sie niemals gewinnen können).
Es folgen auf fast 300 Seiten rund 70 Rezepte für Dinkel, Einkorn/Emmer, Urrogen und Sondermehle. Jeweils eröffnet mit einer Doppelseite und einem tollen Foto, so wie der Zutatenliste. Dann mindestens noch mal 2 Seiten mit den einzelnen Arbeitsschritten, der Sauerteig-Bereitung, der Teigbereitung, Teigführung, Aufarbeitung, Stückgare und des Backens.
Ihr meint, das sei zuviel?! NEIN. Es ist wunderbar verständlich beschrieben und wenn sich jemand für die Zusammenhänge des Backens und auch Hintergründe für bestimmte Verfahrensweisen interessiert, ist es perfekt.
Zusätzlich weisen viele Rezepte noch Praxistipps, Verfeinerungsvarianten, Marketing- und Ernährungstipps auf. Damit auch wirklich kein Bäcker oder Fachverkäufer auf der Strecke bleibt 😉
Für mich nicht ganz so wichtig (aber dafür natürlich für die eigentliche Zielgruppe – die Bäcker) sind die kleinen Gebäcke, die die Kunden anlocken sollen, wie Grillspieße, Apfel-Mini-Brote oder auch Tomatenbrötchen.
Mein Lieblingszitat
„Und Zeit ist beim Backen durch nichts zu ersetzen. Sie ist die Grundvoraussetzung für hervorragende Backergebnisse und einen individuellen Brotgeschmack….“ Urgetreide, Chancen für die Bäckerei
Ausprobiert
Lasst euch bitte nicht von den Mengenangaben in den Rezepten schrecken – sie sind in der Regel auf 10 Kilo ausgelegt. Was die Umrechnung auf 1 Kilo wirklich einfach macht.
Und natürlich habe auch ich keine Klievmaschine, Abziehapperate oder Luftungszüge am Backofen. Was ihr braucht sind die „normalen“ Brotbackgeräte: eine Waage, eine gute Knetmaschine (plus ein wenig Übung beim Stückformen), verschiedene Backformen, unterschiedliche Gärkörbe und natürlich ZEIT.
Sommerbrot
Erster Versuch, erster Erfolg. Also natürlich erst nachdem ich mich auf die erfolgreiche Jagd nach Gelbweizenmehl, Emmervollkornmehl, Einkornvollkornmehl, Waldstaudenroggenvollkornmehl, Lupinenschrot, Leindotteröl und Bioland Dinkelkraft gemacht habe. Einen Teil habe ich im Biomarkt gefunden, andere bei unserm hervorragenden Supermarkt in Schondorf und den Resten musste ich im Internet bestellen…
Das Brot ist auf Anhieb super geworden. Das Rezept gut auf ein „normales Maß“ zu reduzieren – durch 10 zu teilen ist auch gar nicht so schwer 😉
Odenwälder Bauernbrot
Natürlich musste ich mich an eines der aufwendigsten Brote des Buches machen. Aufwendig, weil dem Odenwälder Bauernbrot eine 3 Stufen Sauerteigführung vorangeht. Mit spontaner Säuerung – also ohne Hefe. Das ist was für echte Brotbackfans.
Und es lohnt sich unbedingt. Wir hatten Freunde zum gemeinsamen Kochen hier und die waren derartig begeistert, dass sie es nun nach backen wollen. Und bei einem von ihnen rechne ich sogar damit…
Mini-Ciabatta
Und gleich noch mal: Ball, Satz und Sieg. Genau so muss Ciabatta sein! Großporig, geschmackvoll, mit dem richtigen Mix aus Kruste und Weichheit.
Siegfried Brenneis und Engelbert Kötter
Hier haben sich zwei Könner gefunden und gegenseitig angestachelt. Siegfried Brenneis lebt Brot. Das Buch besticht durch sein enormes Fachwissen, die vielen Hintergrundinformationen, die die Zusammenhänge auch für Laien verständlich machen und seiner Liebe für traditionelles Backen.
Engelbert Kötter kenne ich als Kräuterexperten. In Urgetreide zeigt er nun sein Fachwissen für Marketing und Pflanzenkunde, erläutert Trends und ihre Ursachen, Urgetreide und ihre Herkunft.
Beide widmen sich nicht nur in diesem Buch der Faszination und Herausforderung des Urgetreides. Moderne Getreide wurden immer mehr auf die Abläufe einer industriellen Verarbeitung in den Backstuben optimiert. So wurde Gluten, das Klebereiweiß immer weiter verstärkt und nahezu unkaputtbar gemacht. Beim Urgetreide ist teilweise sogar mehr Gluten enthalten. Doch dies hat eine ganz andere Struktur und es muss vorsichtig mit dem Teig umgegangen werden, damit er stabil bleibt.
Insgesamt sind diese Brotteige ungewohnt weich und flüssig. Zum Glück hatte ich schon beim französisch Backen gelernt meinen Teig liebevoll zu ziehen und in Form zu streicheln.
Urgetreide
Dieses Buch ist der Hammer. Ich bin völlig begeistert und suche verzweifelt nach Kritikpunkten…
Die Zutaten sind natürlich nicht auf die Schnelle zu haben. Bei einigen musste ich schon länger suchen oder auf die Post warten. Bekommen habe ich aber schlussendlich alle.
Manchen mag der Preis von 89.- Euro nun 98.- Euro abschrecken – doch wenn ich sehe, dass ein „normales Brotbuch“ rund 20 Euro kostet – hier erhaltet ihr wirklich geballtes Wissen, gelungene Ästhetik und echte Leidenschaft für Brot.
MATTHAES VERLAG, 2016
Urgetreide – Dinkel, Emmer, Urroggen und mehr
Chancen für die Bäckerei
von Siegfried Brenneis und Engelbert Kötter
Fotografie Hartmut Seehuber
Lektorat Dr. Ulrike Sterbt-Bolz, Fachlektorat Dieter Kauffmann
Repro Schwabenrepro GmbH
Gestaltung Atelier Krohmer
ISBN 978-3-87515-213-5
Ich danke dem Verlag für die Zusendung eines kostenlosen Rezensionsexemplars.
Wer wissen will, wie ich rezensiere – hier habe ich es erklärt.
WERBUNG
Nach dem Telemediengesetz § 2 Nr. 5 TMG sind alle Links auf Verlage und Autoren inzwischen als Werbung zu kennzeichnen. Ich erhalte kein Geld für meine Rezensionen, ich beurteile die Bücher nach meinen eigenen Kriterien, auf die niemand Einfluß nimmt und verzichte inzwischen weitestgehend auf Verlinkungen.
- Butterkuchen – Blitz oder Slow… gut sind beide - 7. Oktober 2024
- Meeresfrüchte vs. Meeresgemüse – Küstengrün kann was - 23. September 2024
- Pflaumenmus – passt zu allem - 25. August 2024
2 Antworten auf „Urgetreide – Dinkel, Emmer, Urroggen und mehr – Brenneis und Kötter“