Muscheln, Krabben und Tintenfisch – „Meeresfrüchte“ bezeichnen allerlei Delikatessen, die keine Wirbelsäule haben und aus dem Meer stammen. Der englische Begriff „Seafood“ geht noch ein Stückchen weiter – da geht es wirklich um alles kulinarisch Verwertbare aus dem Meer. Also auch Algen und Pflanzen. Dieses „Meeresgemüse“ braucht den Vergleich mit den tierischen Genüssen nicht zu scheuen. Meersalat, Queller und Röhrkohl zeigen warum.
Meersalat – frisch angespült
Er erinnert an ein Salatblatt, das schon bessere, frischer Zeiten hinter sich hat und nun müde im Wasser treibt. Doch das täuscht. Meersalat ist eine Grünalge, die ähnlich wie Spinat verzehrt wird: jung und knackig frisch als Salat ist sie bissfest, größere Blätter sollte man jedoch lieber dünsten.
In Asien und Amerika, aber auch an den Küsten Irlands, Frankreichs oder Portugals wird die Grünalge gezielt für den Verzehr gezüchtet. Sie hat super Inhaltsstoffe: viel Protein, wenig Fett, viele Ballaststoffe. Dazu Kalium, Kalzium und Magnesium. Der Vitamin C Gehalt kann den einer Orange um das Zehnfache übertreffen. Beim Verzehr von Algen sollte man allerdings immer das Jod beachten. Algen sind generell sehr jodhaltig – durch vorheriges Wässern kann man dies ausspülen.
Im Nordfriesischen Wattenmeer findet man Meersalat als „Wildfang“ und muss dann selbst entscheiden, ob man ihn einsammelt und was man daraus macht.
Einige Algengeschäfte bieten getrockneten Meersalat (natürlich aus überwachtem und zertifiziertem Anbau) an – da kommt das Kilo schon mal auf 320 Euro. Wobei man natürlich kein Kilo benötigt, weil man es getrocknet vor allem zum Würzen und als Salzersatz nimmt.
Ach ja: wenn man die trockenen Blätter wieder in Wasser legt, vervielfachen sie ihr Gewicht um etwa das 12fache. Aber ob ich sie dann noch als Salat essen wollen würde – da bin ich unsicher. Vielleicht dann doch lieber als Meeresgemüse gedünstet oder aus dem Ofen mit anderen Gemüsesachen.
Queller – der knackige Begleiter
Mir war nicht bewusst, dass Queller im norddeutschen Wattenmeer – beziehungsweise im „Quellerstreifen“ – wächst. Ich habe den irgendwie geografisch und kulinarisch bei „Atlantikküste“ eingeordnet. Um so erfreuter bin ich nun, dass es sich auch um ein heimisches Produkt handelt.
Queller ist ein Saisongenuss, der dank Zucht inzwischen fast ganzjährig in den Frischfischabteilungen zu finden ist. Also wenn man weiß, wonach man sucht. Die Spitzen des jungen Queller werden ab Mai von Hand geerntet und dann gern roh (mit ein wenig Zitronensaft oder Essig aromatisiert) als knackiger Begleiter zu Fisch angeboten. Doch auch kurz in Pfanne oder Wok erhitzt, schmeckt der kleine Salzhalm gut.
Salz ist für die meisten Pflanzen pures Gift. Zweimal täglich verschwindet der Queller im Meerwasser, aber statt daran zu sterben, speichert das Gänsefußgewächs das Salz in seinen Zellen. Dadurch wird er so proper und rund. Und natürlich auch salzig.
Wer findet, dass eine Auster nach Meer schmeckt, sollte mal Queller kosten 😉
Im Oktober hat er dann die maximal Salzmenge aufgenommen, verfärbt sich bräunlich-rot und stirbt ab. Bis zu 10.000 Samen werden von den Gezeiten verteilt und überstehen den Winter. Sie brauchen Frischwasser, also zum Beispiel Regen, um ab April dann wieder neu auszutreiben. Bis zu 50 Jahre können die Samen ruhen, bis sie keimen. Was für normale Gärtner eine Horrorvorstellung ist, ist für den Queller natürlich eine gute Überlebensstrategie.
Queller ist aber nicht nur in der Küche ein Gewinn: er ist ein typischer Erstbesiedler von Verlandungszonen, wächst daher häufig am Rand der Seegraswiesen und schützt die Küste so vor Erosion.
Röhrkohl – wandlungsfähiger Ureinwohner
Diese streng geschützte Grasart, der Strand-Dreizack, darf im Land Wursten nur von Einheimischen geerntet und verarbeitet werden. Er wächst auch in Seegraswiesen anderer Küstenregionen – in Ostfriesland als (Strand-)Stinkgras, Gasröök-Gras, an der Unterweser als Röhrkool oder Soltdreekant. Und in den Niederlanden als Schorrezoutgras – wird dort aber anscheinend kulinarisch nicht so geschätzt.
Inwieweit die Info stimmt, dass nur Menschen, die hier in Wremen und einigen Nachbargemeinden geboren sind, ihn ernten dürfen, konnten wir leider nicht abschließend klären … mir erscheint es seltsam. Wobei ich natürlich auch schon häufiger bei Brau-, Fisch- und Brennrechten auf alte Regeln gestoßen bin, die heutzutage nicht mehr ganz nachvollziehbar sind. Dort sind diese Rechte häufig an den Boden oder das Haus gebunden. Oder auch an eine bestimmte Familie. Geburtsrecht in dieser Form ist mir eher noch nicht untergekommen (also wer da was weiß – gern in die Kommentare!).
Der Röhrkohl entwickelt mit der Blüte ein Alkaloid, das Fressfeinde abwehren soll. Daher sollte er dann auf keinen Fall mehr roh verzehrt werden. Bei Tieren und Menschen kann sonst es zu Vergiftungserscheinungen kommen. Beim Kochen verflüchtigt sich das Triclochinin und es riecht unangenehm nach Chlor.
Davon haben wir nun aber wirklich nichts mitbekommen und ich muss gestehen: der Röhrkohlquark ist mein heimlicher Favorit dieses Menüs. Ob der Röhrkohl davor gekocht wurde, wage ich zu bezweifeln. Und mir geht es super.
Von Mai bis Juni gibt es den Röhrkohl für Besucher und Gäste ausschließlich im Restaurant „Zur Börse“ in Wremen. Der Wirt und Koch des ältesten Gasthauses vor Ort hat eine Sondergenehmigung ihn anbieten zu dürfen und sich umfassend inspirieren lassen:
- Hausgemachtes Brot, Schmalz & Röhkohlquark
- „Gruß aus der Küche“ (Nudel mit Röhrkohlpesto mit Wasserbüffelbolognese)
- Salzwiesen-Röhrkohl-Kartoffelreibekuchen mit Räucherlachs, Krabben, Sauerahm & Tomatenwürfel
- Schaumsuppe vom Salzwiesen Röhrkohl mit Schinkenstreifen
- Kabeljaufilet auf der Haut gebraten mit Röhrkohl-Spargelgemüse & Kartoffel-Selleriepüree
- Tafelspitz vom Weiderind im Wurzelsud gegart auf geschmortem Röhrkohl mit Meerrettichsauce & Salzkartoffeln – der Klassiker
- Parfait von der weißen Schokolade an Blaubeerkompott & Waldmeister-Schaumsauce garniert mit Röhrkohl-Schokolade
oder - Gereifter Rohmilchkäse mit Salzwiesen Röhrkohl Hof Feldmann, mit frischen Beeren, Feigen-Senfsauce, Nüssen & Röhrkohl-Pesto
Wattenmeer
Das Wattenmeer ist mehr als Meer. Es besteht aus dem Watt, den Salzwiesen und Dünen. Das eigentliche Watt erstreckt sich etwa über zwei Drittel dieser Fläche und ist bei Hochwasser überschwemmt und bei Ebbe trocken. Es besteht aus Sandwatt, Mischwatt und Schlickwatt. So eine Wanderung durchs Watt ist übrigens spannender, als mancher ahnt (also ich). Habe ich extra für euch getestet 😉
Mit freundlicher Unterstützung von TourismusMarketing Niedersachsen GmbH*, die mich zu einer kulinarischen Pressereise nach Cuxhaven eingeladen hat.
Mein besonderer Dank geht an Renate Rebmann (die leider die Früchte ihrer Planung nicht genießen konnte) und Pia Spitzenberg, die diese Reise mit viel Gelassenheit leitete.
Susan Cantauw, Badhotel Sternhagen* und ihr Team haben uns so fürsorglich empfangen, dass ich gar nicht weiß, wie ich da gebührend danken kann!
Der anschließende Abend im Restaurant Schaarhörn* (in den Räumen des Sternecks) mit Küchenchef Thomas Hildebrandt war kulinarisch und menschlich ein Genuss.
Björn und Inge Wolters haben uns im Nordseebad Wremen „Zur Börse*“ eindrucksvoll gezeigt, was Röhrkohl alles kann.
Ganz herzlichen Dank auch dafür.
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Dieser Artikel enthält Links zu Produzenten und persönliche Empfehlungen von mir. Ich werde dafür nicht bezahlt und niemand nimmt Einfluss auf meine Texte und Tipps. Doch zur höchstmöglichen Transparenz lege ich diese Verbindung hiermit offen.
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