Not macht erfinderisch. Zum Glück.
Denn manchmal sind es gerade diese Erfindungen, die uns auch kulinarisch beglücken: Starkbier (das lange Schifffahrten nach Übersee überstehen musste), Zwieback (doppelt gebackenes Brot, um lange Haltbarkeit und geringes Transportgewicht zu vereinen) und Grünkern (unreif geernteter Dinkel, der über Feuer getrocknet wird, um einem drohenden Ernteverlust vorzubeugen).
Grünkern ist also nichts anderes, als unreif geerntete Dinkelkörner.
Obwohl – ganz so einfach ist die Sache natürlich doch nicht, denn es braucht schon einiges an Wissen und Fingerspitzengefühl, um aus einem Dinkelkorn fränkischen Grünkern zu zaubern.
Bespelzte Urkörner – Emmer, Einkorn und Dinkel
Der Spelz ist eine feste Hülle, die die einzelnen Körner umschließt. Er schützt vor Umwelteinflüssen, Krankheiten, Schädlingen und erhöht so auch die Haltbarkeit des Getreides nach der Ernte. Allerdings muss die Hülle vor der Verwendung entfernt werden – ein zusätzlicher Arbeitsschritt, den unbespelzte Getreidearten nicht benötigen. Und damit einer der Gründe, warum Weizen, Roggen und Gerste die bespelzten Kollegen in der modernen Landwirtschaft weitestgehende verdrängt haben.
Emmer ist eine zweikörnige Ähre – im Gegensatz zum Einkorn (was ja der Name schon vermuten lässt). Beide gehören (wie Dinkel) zur Weizenfamilie…
Doch die Urgetreide holen auf. Der Dinkelanbau hat sich in Baden-Württemberg und Bayern seit 2013 auf rund 50.000 Hektar mehr als verdoppelt. Deutschlandweit liegen wir bei etwa 70.000 Hektar. Emmer und Einkorn werden natürlich gar nicht erfasst… aber auch bei diesen Nischengetreiden steigt die Nachfrage.
Das Bauland
Kennt ihr das Gefühl, wenn euch jemand etwas erzählt und ihr denkt, ihr habt etwas falsch verstanden, traut euch nicht nachzufragen (weil es so dumm klingt)… so ging es mir, als immer wieder von Bauland die Rede war. Dort ist das Bauland, das ist typisch Bauland und dann fahren wir auch noch ins Bauland. Dabei ist es (wenn endlich doch hinterfragt) ganz einfach: Bauland liegt ganz im Norden Baden-Württembergs, gehört zum Odenwald und ist die anerkannte „Heimat des Grünkerns“.
„Der Name „Bauland“ stammt von der Bezeichnung Ponland, ein „Landstrich, in dem Bohnen angebaut werden“.“ TG Odenwald
Die Böden hier bestehen aus kargem Muschelkalk und liegen im Regenschatten des Odenwaldes. Das ist ein Grund, warum hier seit alters her Dinkel angebaut wurde und wird. Er ist anspruchslos, robust und sein Ertrag lässt sich durch Dünger oder bessere Bedingungen nicht wesentlich steigern.
Ach ja – und Bohnen hab ich irgendwie nirgends gesehen 😉
Bauländer Spelz
Natürlich kann eigentlich jeder Dinkel unreif geerntet und gedarrt werden. Aber um den echten fränkischen Grünkern zu erhalten, muss es nun mal eine alte Sorte sein – der Bauländer Spelz. 1958 zugelassen und seit 1960 im Einsatz. Er ist optimal an das Bauland und die Verarbeitung zum Grünkern angepasst.
„Die Sorte Bauländer Spelz wurde verbindlich im Jahr 1960 für Mitglieder der Vereinigung fränkischer Grünkernerzeuger e.V. vorgeschrieben, da sie das beste Aroma und die höchste Glasigkeit aufweist.“ Amtsblatt der Europäischen Union
Ein Feld mit Bauländer Spelz erkennt ihr am roten Schimmer, den hohen Halmen so wie den Erntespuren – die Bauern ernten immer nur so viel, wie sie auch direkt im Anschluß darren können (also rund einen Hektar) und müssen natürlich auch den richtigen Zeitpunkt zur Ernte beachten. Wenn man auf das Korn drückt, muss ein wenig milchartige Flüssigkeit austreten. Die Fachleute nennen es daher auch „Milchreife“, die Feuchtigkeit im Korn liegt nun bei 45-50%. Jetzt ist der Dinkel gerade richtig, um Grünkern zu werden.
Bauern wie Armin Mechler und Bernd Lauer behalten ihre Felder daher rund um den 10. Juli (da startet die traditionelle Grünkernernte und rund 14 Tage vor der eigentlichen Dinkelernte) gut im Blick.
In manchen Feldern fehlen dann einige Bahnen unter Bäumen und an Ackergrenzen, andere in Senken und auf Höhen bleiben noch ein wenig länger stehen – ganz so, wie der Dinkel reift. Und wenn die Milchreife überschritten ist, dann wird halt statt Grünkern doch Dinkel geerntet.
Darren – die feurige Trocknung
Der Dinkel wird nach der Ernte über einem Feuer aus Buchenholz getrocknet. Die Temperatur des Rauchs liegt zwischen 120° -150°. Rund um die Uhr, um keine Zeit und keinen Grünkern zu verlieren. Es darf nichts anbrennen oder zu feucht bleiben.
„Dabei ist wichtig, dass der Rauch des Hartholzes, das Grünkerngut vollständig durchströmt und ihm somit seinen traditionellen Geschmack gibt.“ Amtsblatt der Europäischen Union
Alte Darren, wie sie im Odenwälder Freilandmuseum und an einem Feldweg am südlichen Ortsrand in Walldürn-Altheim stehen, sind immer am Hang gebaut. So kann im unteren Teil das Feuer entfacht und darüber ebenerdig angeliefert und getrocknet werden.
Wir stehen nur einige wenige Minuten in ein wenig Rauch. Es wird sogleich stickig und heiß. Der Rauch brennt in den Augen und man möchte nur an die frische Luft. Unvorstellbar, hier mehrere Tage am Stück auszuharren… aber diese Trocknung ist notwendig, um die Restfeuchtigkeit des Grünkerns auf unter 3% zu senken. Um ihn haltbar zu machen.
Heute wird zwar immer noch mit Buchenholz geheizt – 3 Ster Holz verbraucht Susanne Lauer in einer Erntesaison – doch statt einer Wanne mit Lochblech, auf der die Körner mit Schaufel und Rechen gewendet werden, übernimmt ein Umlauftrockner das Drehen und Wenden. Das ist definitiv ein Fortschritt und erleichtert die Arbeit immens.
Superfood
Marketing macht´s möglich. Unsere Nahrungsmittel werden inzwischen von sogenanntem Superfood durchdrungen – Lebensmitteln, die besonders hohe Anteile an Vitaminen, Eiweiß, Mineralien oder auch Antioxidantien aufweisen sollen. Hat man zunächst mit Sehnsucht nach Übersee geschaut und Chiasamen, Avocado und Gojibeeren verehrt und verzehrt, so wandelt sich inzwischen das Blatt. Denn auch in unseren Breiten wachsen seit jeher hervorragende Lebensmittel:
Löwenzahn – eine echte Vitaminbombe mit wichtigen Bitterstoffen, Blaubeeren – sie strotzen vor Antioxidantien, Leinsamen – ein uraltes Magen-Darm-Heilmittel.
Und Grünkern?
„Dinkel enthält die Aminosäuren Tryptophan und Tyrosin in besonders hoher Konzentration. Diese spezifischen Aminosäuren fördern die Bildung von glücklich machenden Gehirnbotenstoffen wie zum Beispiel Serotonin.“ Initiative Urgetreide
Na – alles klar 😉
Nach dem Darren wird das Korn in der Gerbmühle vom Spelz befreit. Grünkern ist danach auch wirklich grün und soll möglichst glänzend und „glasig“ sein.
Kochkurs bei Kurt Meidel
„Grünkernbratlingen“ – ein Alptraum der ersten Öko-Naturkostwelle der 80er, geschmacksneutrale Klumpen, die sich im Mund immer weiter ausbreiten…
Dazu muss es doch Alternativen geben – und die finden wir im Landgasthof Linde *, bei Kurt und Christoph Meidel: geröstete Grünkernsuppe, Grünkern Salat, Fleischlose Grünkernküchle (die zum Glück mit den alten Bratlingen nicht mal den Namen teilen), Grünkernrisotto und Grünkern Quark.
Mein Favorit: der Grünkernsalat
- 250 g ganze Grünkerne
- 3 Paprika gemischt
- 1 Zucchini
- 1 Gurke
Den Grünkern 20-25 min kochen (er darf nicht platzen – sollte außen weich mit einem festen Kern sein). Kalt abbrausen. Das Gemüse in Streifen schneiden. Eine Vinaigrette aus Essig, Öl, Zucker und Salz mit frischen Kräutern. Möglichst lange ziehen lassen – gern über Nacht. Die grünen Salatblätter, die ihr oben seht, gebt ihr natürlich erst beim Servieren dazu…
Und der Grünkernkuchen von Frau Mechler, den wir am folgenden Tag bei den alten Grünkerndarren in Altenheim gegessen haben, hat wirklich auch sehr fein geschmeckt 😉
„Fränkischer Grünkern“
Der geschützte, echte Fränkische Grünkern darf übrigens nur in Baden-Württemberg (Hohenlohekreis, Main-Tauber-Kreis und Neckar-Odenwald-Kreis) sowie in Bayern (Landkreise Miltenberg, Landkreis Würzburg) angebaut werden. Er ist einer der Arche-Passagiere von Slow Food Deutschland und seit 2015 EU-rechtlich als geografische Ursprungsbezeichnung (g.U.) geschützt.
Weitere Geschichten aus dem Odenwald:
- Römer, Götter und viel Badespaß
- Zeitreise im Alltag – im Freilandmuseum
- Brennende Leidenschaft – Joachim Alt-Enderle
Mit freundlicher Unterstützung von Tourismus Marketing GmbH Baden-Württemberg*, die mich zu einer Pressereise in den Odenwald eingeladen haben.
Mein besonderer Dank geht an Sannah Mattes und Dr. Martin Knauer von Tourismus Baden-Württemberg, so wie an Sarah Würz und Tina Last von der Touristikgemeinschaft Odenwald e.V.*
Echten fränkischen Grünkern durfte ich bei Familie Meidel, Schell Schokoladenmanufaktur, im Landgasthof Schieser und bei den Landfrauen bei den alten Darren geniessen. Danke für die Gastfreundschaft.
*Werbung
Dieser Artikel enthält Links zu Produzenten und persönliche Empfehlungen von mir. Ich bin dafür zwar weder bezahlt noch beauftragt worden, doch da ich Produkte nenne, muss ich dies als Werbung kennzeichnen.
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3 Antworten auf „Fränkischer Grünkern – Superfood aus dem Odenwald“